Ist ein Pferd eigentlich in der Lage, zu verzeihen, wenn es mit negativen menschlichen Erfahrungen konfrontiert wurde? Je mehr man sich mit Pferdekommunikation beschäftigt, desto eher erkennt man schnell inadäquates menschliches Verhalten. Ohje – so eine Erkenntnis ist wohl die bitterste Kehrseite des Lernens, oder? Auf der anderen Seite eine großartige Chance, zu einer grundlegenden, positiven Veränderung.
Da wir Menschen aber bekanntlich anders denken als Pferde, beginnt an diesem Punkt gerne mal die Selbstzerfleischung. Scham, Selbstzweifel und Versagensängste steigen in uns hoch. Und manche von uns sind wirklich gut daran, Schuld auf sich zu laden. Wir hinterfragen all unsere vergangenen misslungenen Bemühungen und erkennen die Fehltritte. Dabei hatten wir doch eigentlich nur die besten Absichten, nie waren wir absichtlich gemein oder brutal. Warum haben wir nicht schon viel früher gelernt, die leisen Anzeichen von Furcht und Angst zu lesen…
Vorweg, die Antwort lautet Ja!
Pferde können uns definitiv verzeihen. Mit einer Ausnahme! In Fällen von extremen Misshandlungen, kann es sehr lange dauern, bis sie wieder Vertrauen fassen. Pferde spiegeln unsere Interaktion – also wie wir agieren – oft sehr deutlich in ihrem Verhalten wider: Ponys, die von Kindern viel geärgert wurden, entwickeln schmerzhafte Unarten und beginnen vielleicht zu beißen. Manche Pferde, die von Erwachsenen malträtiert werden, buckeln diese ab, sind aber lammfromm, wenn kleine Kinder auf ihrem Rücken sitzen. Bei einigen Hufschmieden sind Pferde entspannt, bei anderen wiederum nicht.
Möglicherweise ist das Wort „verzeihen“ nicht gut gewählt. Tatsächlich geht es um Vertrauen. Um Sicherheit. Pferde haben sehr einfache Emotionen: Angst, Verwirrung oder Verlust. Sie haben keinen Frontal-Lappen im Gehirn wie wir. Dadurch ergibt sich bei uns Menschen ein super breites Spektrum an Emotionen: Liebe, Hass, Verlegenheit, Scham, Peinlichkeit, Mitleid…u.v.m, ja wir können sogar sie sogar kombinieren und zB gleichzeitig sarkastisch und falsch sein. Ups!
Das Gedächtnis bei Pferden ist stark
Zwar haben Pferde ein starkes Gedächtnis, aber aufgrund des fehlenden Frontal-Lappens hegen sie keinen Groll, noch schmieden sie irgendwelche Rachepläne. Dieses Thema haben wir auch in unserem VLog mit Warwick Schiller besprochen. Unter anderem auch, wie leicht wir dazu neigen, die Emotionen unserer Pferde zu vermenschlichen. ->Interview mit Warwick Schiller Aber Pferde leben im Hier und Jetzt in unserer nervenaufreibenden Welt. Sie sind damit beschäftigt, ihre Umwelt auf Gefahren zu scannen und trachten nach Sicherheit. Als Fluchttier denken sie in erster Linie an sich selbst. Und weil wir so komplex denken, erfinden wir sogar verrückterweise manchmal Geschichten, die wir für wahr halten wollen. Um uns nicht selbst die „Schuld“ für ihr Verhalten geben zu müssen und unsere Fellnasen in manchen Belangen für immer als verdorben zu erklären.
Dein Weg zum Vertrauen
Anstatt darin gefangen zu sein, ob und wie unsere Pferde uns verzeihen können, sollten wir Aktivitäten setzen, die positive Gehirnreaktionen in ihnen hervorruft, um ihr Vertrauen zu entwickeln.
- Das beginnt ganz simpel damit, sicherzustellen, dass sie auf eine Art und Weise leben, die ihre Natur unterstützt – und nicht unsere Bequemlichkeit. Sie brauchen ausreichend Futter, die Gesellschaft anderer Pferde und genug Platz sich zu bewegen. Die schicke, neue warme Decke bedeutet Garnichts für ein Pferd, wenn es von seinen Artgenossen isoliert leben muss.
- Schaffen wir neue Erfahrungen und „überschreiben“ die Festplatte! Pferde vergessen schlechte Erfahrungen nicht, trotzdem sollten wir diese alten Erlebnisse aus unserem Kopfkino streichen. Kein Pferd würde als Neuankömmling in der Herde umsichtiger behandelt werden, nur weil es misshandelt wurde. Speichern wir stattdessen neue, positive Trainingserfahrungen über die alten ab. Am leichtesten funktioniert das unserer Erfahrung nach mit Übungen vom Boden aus. Wer Anregungen möchte und neugierig ist: eine große Vielfalt dazu befindet sich in unserem Online Trainingsprogram.
- Befehlen wir nicht mehr – angstbasiertes Training funktioniert nicht. Wir können stattdessen respektvoll fragen. Vergessen wir aber nicht, eindeutig in unserer Körpersprache zu sein. Vage Emotionen lesen Pferde als Unsicherheit, wie sollen sie da Vertrauen aufbauen?
- Achten wir im Gegenzug auf die Körpersprache unserer Pferde. Lernen wir ihre Beruhigungssignale, um das Energielevel richtig zu dosieren und Stress zu vermeiden.
- Legen wir ausreichend Pausen zwischen den Übungsschritten ein. In dieser Zeit entspannt unser Pferd, verarbeitet die neuen Erfahrungen und entwickelt weitere Neuropfade in seinem Gehirn.
- Belohnen wir die Neugier unseres Pferdes. Neugier steht für geistige Gesundheit und Freude an Neuem, für Spaß und Spiel! Anstatt durch permanente Korrekturen den Fluchtmodus / Sympathikus zu aktivieren und in alte Muster zu fallen.
Schließen wir Frieden und geben unserem Pferd die Zeit, die es braucht, wieder an uns zu glauben. Schaffen wir neue gemeinsame Erfahrungen! Nur so können wir dazu beitragen, Erinnerung an eine schlechte Vergangenheit langsam verblassen zu lassen. Für eine harmonische Partnerschaft!
Aus Liebe zum Pferd, Eure Ranchgirls