Wie verladet man ein Pferd, das sich urplötzlich losreißt und lieber davon galoppiert, sich weigert, in die Nähe eines Hängers zu gehen und Unarten wie rückwärts schieben, steigen, ausschlagen oder abdrängen zeigt?
Ganz abgesehen von der dramatischen Tatsache, dass man meistens in einem nicht abgezäunten Bereich verladen muss. Allein bei dem Gedanken einer wilden Galoppade in straßennahem Gelände, steht man kurz vor der Verzweiflung.
Mithilfe eines soliden Trainingsprogramms!
So haben wir uns entschlossen, Haflingerstute Lovely und ihre Besitzerin Julia unter „die Fittiche“ zu nehmen. Das gesamte Training haben wir live aufgenommen, ab sofort könnt ihr es euch in unserer Video-Bibliothek ansehen!
Briefing & Demonstration
Vor dem Training haben wir Julia um ein kurzes Porträt zu Lovely gebeten. Sie erzählt uns, wie Lovely als Jungpferd aufgrund ihres „Sturschädels“ und „Dominanz“ mit Gewalt – sprich viel mit der Gerte – zurechtgewiesen wurde und davor Angst und Widerwillen zeigt.
Und dann war da noch die unschöne Erfahrung während eines Transportes, wo ihr Auto mit dem Pferd im Hänger auf der Autobahn „den Geist“ aufgegeben hat. Lovely verbrachte viele Stunden im Hänger, bis endlich ein Abschleppwagen da war, das Auto in die Werkstatt gebracht und ein alternativer Zugwagen für die Weiterfahrt gefunden war… Und das eine geraume Zeit auf dem Pannenstreifen der Autobahn, wo die Zugluft der vorbeirauschenden LKW‘s den Anhänger jedes Mal schwanken ließ. Eine traumatische Erfahrung, die auch die sonst so selbstsichere Julia mitgenommen hat. Denn beim Vorzeigen des Verladens, merken wir Unruhe in ihr aufsteigen, die in Ungeduld und Verärgerung gipfelt – und prompt geht alles schief.
Die Checkliste für unser Verladetraining
Wir unterteilen den Verladevorgang in viele, kleine Abschnitte und trainieren diese, eine nach dem anderen, um sie am Ende im Hänger zusammenzufügen.
1. Kommunikation im Roundpen:
Ein eingefriedeter Raum ist bei uns immer der Ausgangspunkt jedes Bodenarbeits-Trainings: hier erfolgt das erste Kennenlernen und die Einschätzung des Temperaments. Lovely ist hochgradig sanguinisch, mit phlegmatischen Anteilen!
Wir prüfen, wie viel Energie sie überhaupt braucht, um sich bewegen zu lassen? Wie steht es um ihr Aufmerksamkeitsfenster und ihre Kooperation? Und wie sieht es mit Vertrauen und Respekt aus?
In den folgenden Tagen haben wir bei der Grundausbildung viel an der Hand, an den Respektfragen gearbeitet. Vorhandweichen, Hinterhandweichen, Rückwärtsweichen und Folgen lassen. Erschwert war die Zusammenarbeit aufgrund ihrer Angst vor Gerten, aus diesem Grund haben wir mehrere Aufgaben zur Desensibilisierung eingebaut und viel mit dem Horsemanship Stick gestreichelt. Schon nach kurzer Zeit beginnt Lovely bereits sehr fein auf indirekte Energie durch Blicke und Körpersprache zu reagieren. So ein cleveres Mädchen 😉
2. Training im Engpass:
In diesem Abschnitt prüfen wir, ob Lovely Platzangst hat? Im Gegenteil, sie zeigt großes Selbstvertrauen, denn Sanguiniker sind super neugierig, Phlegmatiker sehr selbstsicher. Beginnend mit dem Führtraining, setzen wir den wippenden Stick über dem Rücken für ein Vorwärts ein, lassen sie im Engpass anhalten und einige Tritte rückwärts gehen. Man merkt sehr schnell, wie ihr das Training und die damit zusammenhängende intensive Kopfarbeit Spaß macht: Lovely WILL im Kopf beschäftigt werden und wir freuen uns über ihre zunehmende Aufmerksamkeit und Kooperation. Das Führseil wird immer lockerer und sie lässt sich am durchhängenden Seil in alle Richtungen bewegen. Um – vorbereitend für die Rampe – eine andere Bodenbeschaffenheit zu simulieren, legen wir vor dem Engpass eine Folie auf. Nach kurzem Schnuppern und Scharren mit den Hufen, spaziert sie problemlos darüber. Da Julia, aufgrund eines nahenden Termins, selber verladen muß, trainieren wir alle bisher angewendeten Techniken parallel mit ihr.
3. Training neben dem Hänger:
Das Training wird nach draußen verlagert. Julia fühlt sich in allen Techniken mittlerweile sicher genug, um mit uns als Coach an ihrer Seite, mit Lovely weiterzuarbeiten. Wir bauen neben dem Hänger einen Engpass mit Pylonen auf. Wird sie sich wieder losreißen und wie bei der Demonstration davongaloppieren?
NEIN! Denn alle Übungen, die sie bis jetzt gelernt hat „sitzen“ und Lovely arbeitet aufmerksam mit.
4. Training im Hänger:
Es folgt der letzte Abschnitt: der Weg in den Hänger! Es kann soviel sein: der Geruch, die Optik einer dunklen Höhle, die dumpfen Geräusche, der wackelige Boden… Nur wenn wir erkennen, warum sich unser Pferd nicht verladen lässt, kann dieser Kernpunkt entsprechend trainiert werden. Schritt für Schritt – mit viel Geduld und Gelassenheit – starteten wir unser Training:
- Zunächst lassen wir Lovely nur mit 2 Hufen auf die Rampe steigen, sie erhält Lob und eine Pause, dann richten wir sie Schritt für Schritt rückwärts
- Nachdem das klappt beschäftigen wir Lovely im Kopf, indem wir sie in einem Jo-Jo Spiel mal vorwärts/mal rückwärts bewegen, dabei soll sie immer wieder entspannt und ruhig stehen bleiben.
- Diesen Prozess steigern wir sukzessive: mit 4 Hufen auf die Rampe, mit 2 Hufen in den Hänger, mit dem halben Pferd in den Hänger und schlußendlich stellen wir das ganze Pferd in den Hänger.
- Besonderes Augenmerk haben wir auf das langsame Aussteigen gelegt, um ein unkontrolliertes Herausstürmen zu vermeiden.
- Endet der Trainingsabschnitt mit einem schönen Fortschritt, beenden wir die Einheit.
Unser Fazit?
In Lovely’s Fall war das Problem eine Kombination aus waschechtem Widerstand, vielleicht im Zusammenhang mit dem Erlebnis auf der Autobahn und mangelnder Erziehung eines dominanten Pferdes, das sich eine erfolgreiche Untugend angelernt hatte.
Lovely ist zu einem folgsamen, kooperativen Pferd geworden, dass sich über „Kopfarbeit“ riesig freut und sich mittlerweile problemlos verladen lässt.
Julias größte Erkenntnis während unseres Trainings war, wie spielerisch leicht sie ihr Pferd – ohne jeden physischen Druck – bewegen kann.
Das Video dazu und einiges mehr, findest du in unserer YouTube Videobibliothek.
Wir wünschen Beiden eine wunderbare Mensch-Pferd Beziehung und viel Freude auf ihrem gemeinsamen Weg.
Aus Liebe zum Pferd,
Eure Ranchgirls