Als wir vor Jahren unser Logo entwickelt haben, wollten wir unbedingt ein losgelassenes, in sich ruhendes Pferd zeigen. Warum? Für uns ist die Voraussetzung jeder Horsemanship – die ja von der Bodenarbeit übertragbar auf das Reiten ist – immer ein entspanntes Pferd! Nur in diesem Zustand ist es lernbereit: Es kann unsere Informationen akzeptieren und verstehen bzw. wird es auch versuchen, diese umzusetzen.
Also machten wir uns auf die Suche nach Bildern. In Internetforen, den meisten Zeitschriften, ja sogar in Lehrbüchern werden Pferde fast ausschließlich in hoch aufgerichteter Haltung gezeigt, als wäre das die „normale“ Haltung. Das ist leider die falsche Botschaft (ähnlich wie die Abbildung extrem schlanker, langbeiniger Models in Hochglanzmagazinen). Diese Haltung nehmen Pferde eher selten ein, wie beispielsweise beim Aufmerken, sie sind dann aber dem Stressmodus sehr nahe und jederzeit fluchtbereit.
Die Evolution hat für das „Steppentier Pferd“ so ausgerichtet, dass es Fresszeiten von 16 Stunden am Tag, für energiearme und rohfaserreiche Nahrung einnimmt. Es bewegt sich also langsam, mit der Nase am Boden, im langsamen Tempo vorwärts. Genau darauf ist sein Körperbau, Funktionsabläufe seines Organismus und sein Verhalten von seiner Natur ausgelegt. Nebenher ist zu sagen, dass es die Evolution eigentlich nicht vorgesehen hat, dass wir uns auf den Pferderücken setzen und hohe Lektionen reiten. Diese Idee haben wir schlaue Menschen entwickelt.
Wenn wir also wertschätzend auf die genetisch verankerten Bedürfnisse unseres Pferdes, seinen Körperbau, eine schonende Ausbildung und Training unserer Pferde eingehen wollen, empfehlen wir zwischendurch immer wieder das Reiten in längeren Sequenzen in Dehnungshaltung: Unser Pferd soll seinen Kopf und Hals in die Waagrechte nach unten vorne „vorwärts-abwärts“ fallen lassen.
Was passiert im Pferdekörper in der Dehnungshaltung
- Senkt das Pferd seinen Kopf, wird das kräftige Nacken-Rückenband (kurz NRB) gespannt. Es zieht vom Hinterhauptsbein (Höhe Ohren) oberhalb der Wirbelsäule an alle Brustwirbel- und Lendendornfortsätze und endet am letzten Wirbel des Kreuzbeins an der Kruppe.
- Durch dieses „Seil-Zug-System“ werden die Dornfortsätze auseinandergezogen, sie entfernen sich voneinander und „heben“ dadurch die Brustwirbelsäule. In weiterer Folge stabilisiert sich die Brustwirbel- und Lendenwirbelsäule wie ein Stab. Ein langer, tief getragener Hals steht also für einen stabilen Rücken.
- Herz und Lunge bekommen dadurch mehr Raum und werden nicht komprimiert, die Atmung fällt dem Pferd leichter.
- Das Genick ist nicht überdehnt, sondern in einer entspannten Position und alle Muskeln am Hals werden entlastet.
- Die Schulterblätter drehen sich am oberen Rand nach vorne, dadurch werden die am unteren Rand ansetzenden Muskeln gespannt und der Rumpftrageapparat stabilisiert.
Die wichtigste Aufgabe des Rumpftrageapparates ist die einer funktionierenden „Stoßdämpfer-Funktion“: er fängt die Stöße in der Stützbeinphase in den Gelenken ab und das Fesselgelenk kann nach der Belastung wie ein Katapult ungestört zurück federn. Fesselträger, Fesseltrageapparat und Beugesehnen werden elastisch und stark. - Die schweren Muskeln der Kruppe und Hinterhand („die Hosen“) bilden ein Kontergewicht, sie laufen dem, durch den gesenkten Kopf nach vorne verlagertem Schwerpunkt, einfach hinterher und werden schonend auf trainiert. Das Pferd läuft praktisch der Vorhand nach.
- Diese Form der Fortbewegung nach dem Vorbild der Evolution, erfolgt für das Pferd energieeffizient und in einer natürlichen Gelenkbelastung. Sehnen und Muskeln werden schonend gestärkt und das Pferd wird eine schöne Oberlinie entwickeln.
- Durch dieses Training wird Schubkraft entwickelt, die Voraussetzung für die Entwicklung der Tragkraft.
Vielleicht denkt ihr jetzt, in der Dehnungshaltung reitet ihr das Pferd vermehrt auf der Vorhand? Existieren doch Sätze in der Reiter-Community wie: „Reitest du dein Pferd auf der Vorhand, machst du sie kaputt.“ Aber nochmal – wir dürfen nicht vergessen: die Natur hat unser Pferd gemäß „Bauplan“ so konstruiert, dass 60 % des Gewichts auf der Vorhand liegen!
Was passiert im Pferdekörper beim Reiten in Aufrichtung
Wir wissen schon – wir zwingen unser Pferd für eine gewisse Dauer in eine selten ausgeführte Haltung hinein.
- Das Nacken-Rückenband „hängt durch“, ähnlich einer, mit viel zu viel Wäsche beladenen Wäscheleine (unser Reitergewicht tut seines dazu). Durch den fehlenden „Seil-Zug-Mechanismus“ muss nun sehr viel Muskelkraft entwickelt werden. Was per se nicht verkehrt ist, aber Muskeln ermüden sehr viel schneller als Faszien und das NRB gehört zum Faszienkomplex dazu.
- Ergo müssen Kopf und Hals durch Muskelkraft gehoben werden, auch die Rückenstrecker müssen muskulär arbeiten. -> Ohne Entspannungshaltung werden sie leicht hart und unelastisch, das Pferd verliert an Geschmeidigkeit in seiner Bewegung.
- Die Halswirbelsäule krümmt sich in Form eines spiegelverkehrten S, dadurch kommt es zu einer starken Dehnung im Genick. -> Die kurzen Nackenstrecker verspannen sich (besonders bei starker Beizäumung), das Pferd wird gegen die Hand gehen oder wehrt sich mit Kopf schlagen.
- Der Übergang zwischen dem letzten Halswirbel und dem ersten Brustwirbel ist gestaucht, ebenso der 4. Halswirbel -> die Halswirbelsäule kann dadurch vermehrt instabil werden, im schlimmsten Fall entstehen arthrotische Veränderungen (Verschleiß im Gelenksknorpel), welche zu einer Einengung im Rückenmarkskanal und Komprimierung der Nervenaustrittslöcher samt Nerven, Arterien und Venen führen können.
- Ohne die Spannung des NRB sinkt die Brustwirbelsäule zwischen die Schulterblätter (abhängig vom Reitergewicht) -> das drückt auf die inneren Organe, die Atmung wird erschwert.
- Durch den erhobenen Hals wandert der Schwerpunkt nach hinten, dadurch verändern sich die Gelenkswinkel in den Beinen -> die Gelenke werden bis zum Huf (Beugesehnen, Fesselträger, Hufrolle) hinunter verstärkt und unphysiologisch belastet.
Keine Frage, wollen wir unser Pferd sportlich auf einem hohen Niveau trainieren, kommen wir mit dem ausschließlichen Reiten in Dehnungshaltung selbstverständlich nicht aus. Wird es gesund bleiben? Ja! Reicht uns das … Nein! Tragkraft, Versammlung und Hankenbeugung können auf diese Weise nicht trainiert werden.
Aber bedenken sollten wir, wie wir das Instrument der Dehnungshaltung immer wieder klug einsetzen können. Beispielsweise beim Warm up oder Cool down, als auflockerndes Training zwischen schweren Lektionen, um brennende Muskeln zu entspannen, als Belohnung zwischendurch, beim Ausreiten, beim Reha-Training nach Sehnen- oder Gelenkschäden…
Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und die gesunde Mischung macht bekanntlich alles aus. 😉
Übrigens: bis heute haben wir kein anderes Logo in der Pferdewelt gefunden, dass ein entspanntes Pferd mit gesenktem Kopf darstellt. Wenn ihr eines kennt – wir wären sehr neugierig darauf.
Aus Liebe zum Pferd,
Eure Ranchgirls